Rettet das Hamam! Der Klimawandel setzt Frauen auf die Straße

Rettet das Hamam in Berlin Kreuzberg

 

Ein aktueller Bericht anlässlich der schlechten Nachricht

Die Nachricht trifft mich hart: Alle Frauen, die im Hamam des Frauenzentrums arbeiten, wurden fristlos zum 30. 6. 2018 gekündigt. Ein Bericht mit Liebeskummerpozential!

Das Türkische Bad im Frauenzentrum „Schokoladenfabrik“ in Kreuzberg ist eine Institution. Seit 1988 gibt es dieses einzigartige Bad nur für Frauen, das einzige in ganz Deutschland. Die Schokofabrik ohne das Hamam? „Unvorstellbar“, sagt Helga Röhle, Geschäftsführerin des Betriebs, „aber momentan ist es möglich.“ Seit April, dem Start des außergewöhnlichen Sommers in Berlin, hat das Hamam keine Einnahmen mehr. „Wir können unsere Mitarbeiterinnen nicht mehr bezahlen, auch das ist der Klimawandel“, so Helga Röhle. Sie ist sonst eine lustige Frau mit langen blonden Haaren, der man ihre 60 Jahre nicht ansieht. Doch jetzt ist ihr das Lachen vergangen. Sie sitzt in dem wunderschönen Innenhof des Hamams, in dem sich ihre Gäste zwischen Blumen und Laternen entspannen können, mit Blick auf die Kuppel des Hamams.

Die Kuppel bildet das Herzstück des wunderschönen Bades, das die Frauen 1989 mit ihren eigenen Händen erschufen

Die Kuppel bildet das Herzstück des Bades. Sie umwölbt den heißen, achteckigen Hamamstein im Untergeschoss und ist von Innen mit einem fein gearbeiteten, orientalischen Mosaik ausgekleidet. Die Frauen der Schokofabrik haben das Bad vor 30 Jahren mit ihren eigenen Händen errichtet, die Kuppel zeugt von dieser liebevollen Arbeit. Das Hamam gehört zur bewegten Kreuzberger Geschichte der Instands(be-)setzung und erzählt von der autonomen Frauenbewegung, die hier das größte Frauenzentrum Europas geschaffen hat. Neben dem Schokosport, einer Möbelwerkstatt und einer Frauenrechtsberatung ist das Hamam die dritte große Säule des Frauenzentrums. Und im Winter erfreut sich die Tradition des türkischen Badens großer Beliebtheit: Zum Waschen, bei dem frau sich aus Schalen mit Wasser übergießt, gehört ein Ganzkörper-Peeling und eine Seifenschaummassage. Touristinnen aus aller Welt, Frauenbewegte, junge und alte Frauen quer durch alle Schichten gehören zur Kundschaft genauso wie Muslima, die den Freiraum für Frauen schätzen. Aber es passen immer gerade so viele Frauen ins Hamam, wie es den Kundinnen zumutbar ist – und bei 35 ist Schluss, da kann die Schlange noch so lang sein. Ein zusätzliches Dampfbad müsste her, damit im Winter mehr Einnahmen fließen können.

Starke Konkurrenz durch Mega-Wohlfühltempel

Das Hamam für Frauen ist nicht der einzige Sauna- und SPA-Betrieb, der zu leiden hat. Zwar steigt die Anzahl der potenziellen Kundinnen mit jedem Jahr, in dem die Stadt wächst und Touristenmagnet bleibt, jedoch wächst auch die Konkurrenz. Auch andere kleine Saunabetriebe spüren, dass es inzwischen einen Mega-Wohlfühltempel der Luxus-Klasse in Berlin gibt, der Massen abfertigen kann. Jeder Saunagänger war schon mindestens einmal dort, um die Oase am Hauptbahnhof einmal auszuprobieren – ein Besuch weniger in der Kiez-Sauna oder im Hamam inbegriffen. Auch das sieht Geschäftsführerin Helga Röhle: „Wer kommt dann noch nach Kreuzberg, wenn es dieses Riesen-SPA in Mitte gibt.“

Ein Schock für die angestellten Mitarbeiterinnen: Die fristlose Entlassung im Juni

Aber das Hamam bietet nicht nur erholungswilligen Großstädterinnen im Winter eine Wohlfühloase, sondern es beschäftigt 13 angestellte Frauen und zahlreiche Anwenderinnen, die Massagen und Peelings durchführen. „Der Sommer war schon immer eine harte Zeit für uns. Schon in den letzten drei Jahren ging es eher schlecht als recht, weil wir im Winter genug einnehmen mussten, um über den Sommer zu kommen. Und dieser Winter war wieder zu mild. Aber wenn jetzt schon der Frühling keine Einnahmen mehr bringt, dann ist es vorbei, dann muss ich meine Mitarbeiterinnen entlassen.“ Um die Insolvenz abzuwenden musste Röhle nun allen Frauen kündigen, ein Schock für die Belegschaft.

„Wir sind ja als Team zusammengewachsen!“

Caner aus Steglitz, seit vier Jahren im Hamam angestellt, ist eine von den Betroffenen. Sie ist alleinerziehende Mutter und muss die Miete für sich und ihren Sohn bezahlen. Die Kündigung kommt einer Katastrophe gleich: Wie soll sie den Sommer überstehen? „Ich hätte gedacht, dass ich den Job bis zur Rente machen werde“, sagt die 38-Jährige mit einer Spur Resignation, aber ihre Augen glühen unternehmungslustig. Sie hat sich bereits um ein Vorstellungsgespräch gekümmert. So eine zuverlässige und kompetente Mitarbeiterin wie Caner ist schwer, zurückzuholen. „Wir sind ja auch als Team zusammengewachsen, es ist unvorstellbar für alle. Manche sind seit 12 Jahren dabei“, bedauert Röhle, denn ihr ist bewusst, dass manche nicht zurückkommen werden – auch wenn es im Oktober weitergehen sollte.

Geschäftsführung musste sich selbst entlassen

Mit der anhaltenden Schönwetterperiode ist für die Angestellten des Hamams der Gang zum Arbeitsamt unausweichlich. Und auch die Schokofabrik kann dem Hamam nicht unter die Arme greifen, sie kämpfen selbst um die Zuwendung von Senat und Bezirk für ihre Frauenprojekte, etwa mit geflüchteten Mädchen.

Hätten die Geschäftsführerinnen schon vor drei Jahren Alarm schlagen müssen? „Eigentlich ja. Wir haben die letzten Sommer immer nur mit privater Hilfe finanziert. Wir hätten vermutlich im letzten Winter das System umstellen müssen. Wir haben einfach weiter gehofft“, gesteht Helga Röhle. Es tut ihr sichtlich leid, dass „ihre“ Frauen nun arbeitslos werden müssen – allerdings musste sie sich selbst und ihre Co-Geschäftsführerin ebenfalls entlassen. Bis dahin macht sie weiter, und steht nun  jeden Tag selbst an der Rezeption.

Veröffentlicht von stadtlandfrau

Dr. Inga Haese, Soziologin, Gärtnerin, Leserin, Mutter, Feministin, Kirchenaktivistin. Lebt in Berlin und bei Storkow in Brandenburg.

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