#12 +++Corona-Blog+++

Woche 2 endet: „Isolationsmüdigkeit“

Der Sonntag beginnt mit einer Einschätzung von Heinz Bude: Wir sind langsam isolationsmüde. Der Tag zeigt auf ganzer Linie, wie Recht er hat. Nicht, weil heute die Hausaufgaben überfordernd, das Homeoffice geöffnet oder die Kinder übermüdet wären, nein. Auch nicht, weil die kalten Graupelschauer einen Spaziergang vereitelt hätten.

Heute war ein Sonntag, der zeigt, dass seit zwei Wochen jeder Tag Sonntag ist und dass man als Elternpaar nur noch wenig Muße hat, die Kontaktsperre mit guter Laune über sich ergehen zu lassen. Wo man sich dabei ertappt, stoisch sogar ohne Kinder am Wohnzimmertisch eine Bastelvorlage nachzubasteln. Denn die Kinder haben sich mit Hörspielen ins Zimmer verzogen. Familie nervt einfach langsam. Die Witzvideos sind bereits mit allen Menschen ausgiebig ausgetauscht worden und der Humor ist langsam ausgeschöpft.

Armin Laschet hat in Angst um Kinder und Frauen, die Gewalt in den eigenen vier Wänden ausgesetzt sind, gar eine Lockerung der Ausgangsbeschränkungen gefordert. Ich finde aber, dass das Aufeinandergesperrtsein eine Herausforderung für jeden Haussegen ist, auch ohne Ohrfeigen oder Wut. Vermutlich schrauben sich Aggressionsspiralen in kleinen Wohnungen gerade reihenweise hoch – man kann sich schlicht nicht aus dem Weg gehen, wenn man genervt ist.

Dazu kommt: So langsam sickert in die Köpfe der Menschen ein, dass die Corona-Beschränkungen keine kurze Ausnahmeerscheinung sind. Die Zahlen der Welt zeigen, dass Corona überall Staaten in die Knie zwingt, Südafrika, Indien, USA. Nachrichten aus Italien und Spanien lassen einem die Tränen in die Augen treten und immer wieder die unfassbaren Bilder von Moria, wo die hoffenden Kinder nun nicht ausgeflogen werden, sondern alle dabei zusehen, wie die Zeitbombe dort weiter tickt.

Europa gleicht derzeit einem Scherbenhaufen. Wer letztes Jahr noch freudig auf die erste Amtszeit einer Kommissionspräsidentin geblickt hat, der reibt sich jetzt ungläubig die Augen. Beinah vier Wochen hat es gedauert, bis die Staaten ihre Hilfe füreinander wieder entdeckt haben. Die geschlossenen Grenzen symbolisieren eine Kapitulation vor dem Virus, aber auch eine Resignation in Europa, die kaum jemand noch vor einem Monat für möglich gehalten hatte.

Ausgerechnet die Corona-Krise als Weltkrise ist die Reinkarnation des Nationalstaates, dessen Zeitalter viele für tot erklärt hatten. Während die an Covid-19 Erkrankten intubiert werden müssen, beatmet das Virus die Kleinstaaterei. Jedes Land holt seine als Landsleute bezeichneten Bürger:innen in seine eigenen Grenzen zurück. Europa und Weltgesellschaft war gestern, heute heißt es zurück zur Nation.

Die Hilfen europäisch zu bündeln wäre ein Weg, dem zu entkommen. Aber die Server der Hilfsaufkommen für Betriebe sind schon in Berlin heillos überlastet. Ein Freund, der als Solo-Selbständiger Einnahmeausfälle hinnehmen muss, hat Wartenummer 10.000. So stellt sich die staatliche Hilfsbereitschaft selbst ein Bein, denn das Prinzip, das in dieser Krisenbewältigung scheinbar die Oberhand gewinnt, ist das Prinzip des Zufalls. Zufällig gerettet.

Aber der Abend bringt diese düsteren Erkenntnisse ob der Aussicht mit sich, dass morgen die Woche wieder beginnt. Wieder mit Homeschool. Wieder ohne Ablenkungen. Wieder mit Eltern-Homeoffice. Letzte Woche habe ich noch herzlich über die Wochenshow gelacht, in der meine Lieblingskaberettistin im gespielten Homeoffice durchdreht und alle anmotzt. Heute ahne ich, dass Witze besonders gut sind, wenn sie hauchdünn an der Realität vorbeischrammende Übertreibungen sind. „Isolationsmüdigkeit“ trifft meine momentane Stimmungsbeschreibung ziemlich auf den Punkt.

Veröffentlicht von stadtlandfrau

Dr. Inga Haese, Soziologin, Gärtnerin, Leserin, Mutter, Feministin, Kirchenaktivistin. Lebt in Berlin und bei Storkow in Brandenburg.

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