Wenn die Burn-Out-Gesellschaft zurückschlägt oder: Wie der Kapitalismus uns durch Komplexität besiegt.

Die globalisierte Arbeitswelt frisst ihre Angestellten, Arbeitskraft-Unternehmer, Up-Starter und Projektmitarbeiter. Im Massen-Burn-Out (jedes Jahr weisen die Zahlen neue Rekorde der Diagnose aus) finden wir die fürchterliche Konsequenz der neoliberalen Propaganda: Burn-Out bedeutet, dass funktionierende Maschinen plötzlich nicht mehr arbeiten können, weil sie sich im Willen, alles perfekt zu erledigen, aufgerieben haben. Daran muss ja zweifelsohne frau und man selbst schuld haben, er und sie haben es nicht hinbekommen, sich funktionstüchtig zu verhalten, effektiv und effizient, wellnessorientiert und an sich arbeitend. Konnte sich nicht abgrenzen, bekommt Depressionen, was ist das eigentlich? Schlafstörungen und negative Gedanken, das ist so subjektiviert, dafür kann doch eine Arbeits- und Produktionswelt gar keine Verantwortung tragen!

Funktionierende Subjekte, einer toller als der andere.

Im Namen der Emanzipation werden wir zur Freiheit gezwungen, vor allem zu der Freiheit, endlich richtig funktionieren zu können. Das ist der Kern der globalisierten Arbeitswelt: Funktionierende Subjekte, die ihr Ich in der selbstbestimmten Arbeit auflösen. Die Entfremdung durch Arbeit, die im 19. Jahrhundert angeprangert wurde, wurde durch die Selbstauflösung in der Arbeit – herrlich produktiv, diese Selbstverwirklichung – abgelöst. Für Männer und Frauen gleichermaßen, und wie toll, dass die Subjekte auch noch ihr Familienleben der kapitalistischen Verwertungslogik unterordnen, ganz freiwillig.

Überhaupt, Familienleben. Die ständigen Konflikte in der Kleinfamilie um die Oragnisation von Haushalt und Erziehung, das macht ihr bitte schön alleine mit Eurem Partner aus, und am besten ist für den Kapitalismus eure Trennung. Das kurbelt die Wirtschaft nämlich erst richtig an, immerhin brauchen alle frisch getrennten neue Wohnungen, neue Wohungseinrichtungen oder zumindest eine neue Kaffeemaschine. Endlich wird diese auf Dauer angelegte Familiengemeinschaft, die als Kosumgemeinschaft leider zu wenig Geld ausgibt – im Gegenteil, sogar zum Sparen neigt! – im Keller der Geschichte geparkt, und zwar im Namen von Fortschritt und Emanzipation. Und wir Frauen, wow, wir sind die konsumistischen Gewinnerinnen, können endlich Freiheit und Spaß und Verwiklichung im Job auf einmal haben.

Die alte FDP-Lehre hat gewonnen. Deshalb braucht die keiner mehr.

Aber irgendwas stimmt hier nicht. Uns wird vorgegaukelt, dass der Preis der Freiheit das Solidarprinzip sein muss. Das ist die alte FDP-Lehre in ihrer puren Form: Solidarität schränkt unsere Freiheit ein, und was gesellschaftlich gilt, das können wir auch problemlos auf unser Umfeld übertragen, auf unsere Partner, Eltern, Kinder. Dass die Kinder, die sich weder gegen den Müll noch gegen die Arbeitswelt wehren können, dabei zu den perfekten Konsumenten herangezogen werden, ist der nette kleine Nebeneffekt.Und dass wir die FDP jetzt nicht mehr brauchen, auch.

Die Kinder sind es, die in diesem System funktionieren müssen. Und die ganz früh lernen: Auf niemanden ist Verlass, sei dir selbst der nächste. Ehrlich, SPD, das könnt ihr doch nicht gewollt haben. Die Welt ist euch einfach zu komplex geworden, gebt es doch zu. Die Folgekosten politischer Entscheidungen habt ihr in ihrer Tragweite noch gar nicht begriffen. Wir steuern da auf eine Gesellschaft zu, die keiner wollte! Fortschritt, ja, und natürlich Emanzipation! Aber doch bitte nicht zum Zwecke der Erschließung brachliegenden „Humankapitals“!

Burn-Out-Gesellschaft hier, Naturkatastrophen dort: Die Rettung sind die Geflüchteten.

Es sind die Geflüchteten, die Hoffnung geben. Dass sich dieses Land nochmal umschaut und erkennt, dass Solidarität kein Mittel zum Zweck ist. Dass der gestiegene Wohlstand in D dazu führt, dass woanders Kriege ausbrechen und Naturkatastrophen die Lebensgrundlage von Millionen Menschen zerstören. Dass also die Burn-Out-Gesellschaft hier direkt im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch dort steht. Erst wenn wir den Mut haben, die Pervertierung von Emanzipation und Freiheit zu erkennen, können wir etwas daran ändern.

Veröffentlicht von stadtlandfrau

Dr. Inga Haese, Freie Autorin, Sozialforscherin, Dozentin. Mutter von 2 Kindern. Lebt in Berlin und bei Storkow in Brandenburg.

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