Elterngeld gegen Kindergrundsicherung und andere familienpolitische Maßnahmen ausspielen? Keine gute Idee. Stattdessen braucht das Familienministerium schlicht mehr Geld

FDP-Finanzminister Lindner steht fest auf der Schuldenbremse, Verteidigungsausgaben steigen, und was passiert in Zeiten klammer Kassen und geschürten Ängsten vor einer Rezession? Ausgerechnet beim Elterngeld soll gekürzt werden. Aber was ist eigentlich problematisch daran, wenn Elterngeld für Superverdiendende gestrichen wird? Einige Gedanken.

Nach den Corona-Doppel-Wumms-Jahren kommt jetzt das große Sparen. Ausgerechnet im Familienministerium, das seit 1994 in seiner heutigen Form das Ministerium für Fragen rund um die Themen Care, Gleichstellung und Förderung von Kindern und Jugendlichen ist, den großen Themen der Corona-Zeit und ihrer Leidtragenden. Denn die Zielgruppen des Ministeriums sind Kinder (die lobbyloseste Gesellschaftsgruppe überhaupt), Jugendliche (die zweitschwächste Lobbygruppe), Senior*innen und Frauen (Statistiken zu Gender Rental Gap, zu Teilzeitarbeit und zur Aufteilung von Care-Arbeit gerade in Corona-Zeiten waren bereits Themen von Stadtlandfrau). Eine Kürzung des Elterngeldes lediglich für Eltern mit sehr hohen Einkommen wirkt da auf den ersten Blick kalkuliert vernünftig: Ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 150 000 Euro soll das Elterngeld wegfallen. Nur rund vier Prozent der steuerpflichtigen Paare hätten ein Einkommen, das darüber liege, so Katharina Wrohlich in der SZ.

Elterngeld hat als gleichstellungspolitische Maßnahme Signalwirkung

Jedoch hat das Elterngeld als gleichstellungspolitische Maßnahme eine bedeutende Signalwirkung, die nicht mit dem sozialpolitischen Argument eines Lastenausgleichs oder einer Umverteilungsmaßnahme in einen Topf geworfen werden sollte. Das Elterngeld wurde bei seiner Einführung 2007 als gleichstellungspolitische Maßnahme eingeführt, um in allen Gesellschaftsschichten die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern, und zwar in den Familien, weil es nach der Geburt von Kindern zu dramatischen Rückschritten („Rollbacks“) in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung kam und Frauen wenig Lust hatten, überhaupt Kinder zu bekommen. Wenn der Zweck von Gleichstellungs- und Familienpolitik ist, die Teilhabe an Carearbeit gerecht aufzuteilen und „überkommene“ Väter- und Mütterrollenbilder zu durchbrechen, dann geht es auch Spitzenverdiener*innen etwas an.

Elterngeld gegen die Kindergrundsicherung als sozialpolitische Maßnahme auszuspielen wäre theoretisch eine patriarchale Glanzleistung

Was heißt überhaupt „überkommene Rollenbilder“? Es meint patriarchale Muster – offenbar klingt das vielen Autor*innen zu feministisch, deshalb ist in den Leitmedien vermehrt von „überkommen“ zu lesen. Patriarchal bedeutet nichts anderes als eine Struktur der Abwertung von Care-Arbeit und jenen, die sie leisten (in der Mehrheit sind es Frauen); es bedeutet, Kinderrechte kleinzuhalten, Jugendlichen keine Mitsprache zu gewähren und sicherlich bedeutet es, die herrschenden Normen des Vollzeit-Erwerbsarbeitsmodells zu verteidigen. Das Elterngeld als gleichtstellungspolitische Maßnahme gegen die Kindergrundsicherung als sozialpolitische Massnahme auszuspielen, das wäre theoretisch eine patriarchale Glanzleistung. Es ist zudem Wasser auf die Mühlen derer, die Gleichstellungs- und Familienpolitik als „Gedöns“ abtun und jetzt Oberwasser erhalten.

Reformvorschläge des Modells sind berechtigt

Natürlich sind Reformvorschläge des Elterngeldmodells berechtigt. In der Vergangenheit haben Studien die langfristige Wirkung des Elterngeldes bezweifelt, sie habe zu wenig Auswirkungen auf die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in späteren Jahren, besonders nach der Geburt mehrerer Kinder. Junge Eltern nutzten Vätermonate, um einen langen Familienurlaub zu realisieren, anstatt dass sich die Väter zu Hause ums Kind kümmerten. Das stellt die Möglichkeit zu einer gemeinsamen Elternzeit in Frage. Zuletzt unterschrieben 66.302 Menschen eine Petition für die Erhöhung des Elterngeldes, das seit seiner Einführung gleich geblieben ist – der Mindestsatz liegt bei erschreckend geringen 300 Euro und wurde nie angepasst.

Aber zurück zur Frage des Elterngeldes für Vielverdienende. Was sind diese vier Prozent für eine Gruppe? Höchstwahrscheinlich sind es die vielverdienenden Väter und Mütter, die Führungsetagen, Chefposten und Vorstandsetagen besetzen. Sie sind es, die familienfreundliche Normen durchzusetzen bereit sein müssen. Wenn Spitzenverdienende gar nicht an Care-Arbeit partizipieren – was mit nur 2 Vätermonaten ohnehin bezweifelt wird – dann ist das eine schlechte Nachricht für Anstrengungen zur Gleichstellung und besserer Vereinbarkeit. Ganz abgesehen davon, dass solche Hierarchien und ihre absurden Gehaltsunterschiede fragwürdig sind.

Nach den Corona-Jahren wünsche ich mir eine Politik, die den Etat des Familienministeriums mit seinem Ausgabenbereich Kinder, Jugend, Frauen und Senioren erhöht (!), anstatt ihn zu kürzen

Nach den Corona-Jahren wünsche ich mir eine Politik, die die Belastungen von Familien und die mit der Corona-Zeit verbundenen Schwierigkeiten, Gleichstellung zu leben, wieder ernst nimmt. Im Grunde heißt das, der Etat des Familienministeriums mit seinem Ausgabenbereich Kinder, Jugend, Frauen und Senioren müsste erhöht (!) werden. Statt Kürzungen vorzunehmen wäre die Frage, warum Geringverdienenden nur 300 Euro Elterngeld zusteht. Wenn man Christians Lindners jüngste Aussage zu Sparpotenzial „an anderer Stelle“ im Haushalt des Familienministeriums hört und dabei an den Aufgabenbereich Kinder und Jugend denkt, dann stünde es nicht nur schlecht um die Gleichstellung, dann wäre es um die Sorge für die Fortexistenz pluraler Lebensformen, Toleranz und das Wissen um gelingende Gesellschaftsgestaltung in der Zukunft nicht gut bestellt – das wären dann übrigens patriarchale Strukturen, wie sie im Buche stehen.

Veröffentlicht von stadtlandfrau

Dr. Inga Haese, Soziologin, Gärtnerin, Leserin, Mutter, Feministin, Kirchenaktivistin. Lebt in Berlin und bei Storkow in Brandenburg.

Hinterlasse einen Kommentar