Merkwürdig still ist’s geworden um die Frauen und Mütter, die den gesellschaftlichen Allerwertesten von Familien aus der Pandemie retten. Machen wir uns nichts vor, Corona und die Krise werfen etliche Errungenschaften der Frauenbewegung gerade über den Haufen und es ist an der Zeit, näher hinzuschauen. Wo stehen wir eigentlich in Sachen Gleichberechtigung?
Gut, die ZEIT hat den Familien aus gegebenem Anlass einen Titeltext gewidmet, immerhin. Aber der wurde vermutlich von einer Frau ohne Sorgeaufgaben geschrieben – sonst wäre er noch wütender ausgefallen und nicht so zahlenverliebt: Als würden die zitierten 2:46 Stunden Sorgearbeit für Väter und 4:13 Stunden für Mütter, die diese durchschnittlich in Fragebögen angeben, irgendetwas über die derzeitige Lebensrealität von Familien aussagen, außer dass Frauen auch sonst ungefähr den doppelten Anteil der Hausarbeit leisten.
Mutter soll es richten, denn Vater sitzt mit höherer Wahrscheinlichkeit auf einer guten Stelle
Mütter müssen gerade alles auffangen, was Vater Staat liegen lässt, und das ist weit mehr als schmutzige Wäsche und gebrauchtes Geschirr. Den Breitbandausbau verschlafen, so dass die Kinder nicht von digitalen Bildungsangeboten profitieren? Mutter soll es richten. Denn Vater sitzt mit höherer Wahrscheinlichkeit im Büro/digitalem StartUp oder sonst einem Unternehmen in Führungspositionen – weil Quoten, um die paritätische Besetzung von guten Jobs zu regeln, ja immer so überflüssig waren! Und falls in den letzten Jahren eine langsame Einsicht bei den Entscheider:innen durchgesickert ist, dass es ohne Frauenquote einfach nicht aufwärts geht für Frauen (besonders die kinderhabenden), dann hat sich diese Einsicht viel zu langsam in wirksamen Gesetzen und Regeln abgebildet, nämlich bis heute gar nicht.
Und jetzt? Fährt der Zug wieder im Rückwärtsgang aus dem Bahnhof raus.
Und jetzt? Fährt der Zug wieder rückwärts aus dem Bahnhof raus, wir schreiben 2021 und offenbar hat sich rein gar nichts geändert, außer warmen Worten der Kanzlerin können Mütter, Väter und Kinder ihre 200 Euro Coronazuschuss entgegennehmen und halten ansonsten gefälligst den Mund – das Private ist nicht mehr politisch, Corona beherrscht die Regeln und die wirtschaftlichen Zumutungen sind sowieso schon so grausam, dass über den Rest bitte geschwiegen wird. Alle regen sich über verfehlte Schnellteststrategien und Impfstofflieferengpässe (völlig zurecht) auf, aber dass es keine Alternativen gibt, um Familien den Rückfall in die Muster der 50er Jahre zu ersparen und Frauen weit mehrheitlich Altersarmut riskieren, ist genauso wenig hinnehmbar, nicht zuletzt am Tag der Frauen, der in Berlin – mahnend? aufmunternd? trotzig? – zum Feiertag erhoben wurde.
Keine Ahnung, wo die ZEIT die Zahlen über die geleistete Sorgearbeit ausgegraben hat, aber wenn ich nur 4 Stunden am Tag für die Familie da wäre und mein Mann besagte 2, dann hätten meine Kinder jetzt 3 Monate Schulstoff verpasst, niemand wäre zum Einkaufen gekommen, und das Kind über fehlende Verabredungen hinwegtrösten will auch geduldig getan sein. Mindestens ein gesund gekochtes Essen am Tag eingerechnet komme ich locker auf 9 Stunden täglich (natürlich mein Mann auch auf mehr als 2) dank der Schulschließungen, die morgen (!) endlich auch für Sechstklässler aufgehoben werden. Zahlen, die Sorgearbeit einfangen wollen, sind eben einfach nur nackt und einfallslos, sie bilden nichts ab, schon gar nichts Liebevolles oder die Zeit, die ich noch zum Regenerieren brauche.
Junge Mädchen leiden am meisten
Die Krise und das Improvisieren. Sie macht aus den Frauen diejenigen, die eher zurückstecken, Arbeitsstunden zugunsten der Kinder reduzieren, über den Haufen geworfene Zeitpläne vom Boden auflesen und über neue nachdenken, die aber eine Woche später wieder über den Haufen geworfen werden. Sie sind es, die als erstes mit der verunsicherten Politik zu tun haben, die in einem ganzen Jahr Pandemie nicht gelernt hat, wie Schulen vernünftig und familiengerecht geöffnet bleiben können. Überhaupt baden diese ganzen Entscheidungen an erster Stelle die Kinder aus: Eine Berliner Kinderärztin etwa berichtet, dass reihenweise junge Mädchen „dekompensieren“ würden, was übersetzt bedeutet, dass sie mit Nervenzusammenbrüchen in ihrer Praxis stehen. Weil sie nicht mehr können und nicht mehr wissen, was sie tun sollen. Mädchen, das sehe ich bei meiner Tochter, leiden am meisten unter Schulschließung, social distancing oder dem Stress der Eltern. Sie sind zur Zeit viel gefährdeter als ihre männlichen Altersgenossen, Verhaltensauffälligkeiten zu entwickeln. Sie leiden an und mit den bis über die Grenzen belasteten Eltern.
So wirkt sich die Schulschließungspolitik, die fehlenden Schnelltest- und Lüftungskonzepte doppelt negativ auf viele Frauen aus: Mütter stecken mehrheitlich beruflich zurück, springen zuhause ein, übernehmen eher den Blick auf Kühlschrankbefüllung, Putzmittelbedarf und Kinderlaune; sie koordinieren die Homeschool, denn sie sind es, auf die Bildungsdefizite der Kinder später immer noch zurückgeführt werden (bei positivem Bildungsverlauf wird das übrigens eher den Vätern zugerechnet), während ihre Töchter Gefahr laufen, in der andauernden Lockdown-Stresssituation zu dekompensieren – mit ungewissen Folgen für ihre seelische Gesundheit. Von der körperlichen, weil bewegungsreduzierten, Gesundheit fangen wir gar nicht erst an. All dem hätte politisch längst vorgebeugt werden können – Personalmangel im Kita- und Hortbetrieb sind genauso hausgemacht wie Schulen, die nicht ans Netz angeschlossen sind – aber vor allem die große Bezahlkluft zwischen Sorge-Jobs und Büro-Jobs, die immer noch fehlende finanzielle Anerkennung von Carearbeit, sorgen jetzt in vielen Familien für eine Rolle rückwärts in Sachen Arbeitsteilung und Punkten für die Rentenkasse. Die 200 Euro pro Kind wirken wie ein Beruhigungs-Bonus für die, die jetzt unentgeltlich zu Hause Bildungs-, Ernährungs-, Erziehungs- und Haushaltsarbeit übernehmen.
Frauen an der Macht
„Frauen an die Macht!“ Das galt als Schlachtruf für den emanzipatorischen Siegeszug der Besserstellung von Frauen. Einer seit den 1960er Jahren erfolgreichen, nach vorne gerichteten Entwicklung, die z.B. mit einer Zurückdrängung von Korruption in den westlichen Demokratien einherging (die hohe Korrelation zwischen Frauenanteil an Regierungsämtern und sinkender Korruption wurde schon früh bewiesen), mit nachhaltigeren Politikzielen, mit familienfreundlicheren Arbeitsbedingungen. Dank Trump und Co. wissen wir heute auch, was es bedeutet, wenn diese Errungenschaften der Emanzipation in Frage gestellt werden. Es kann ganz leicht wieder toxisch werden, oder wie bei Putin: militärisch-aggressiv. Frauen an die Macht, dieser Leitspruch ist noch längst nicht eingelöst, weder durch Angela Merkel noch sonst wen, und schon wird an allen Ecken und Enden an seiner Evidenz geschraubt und gesägt.
„Frauen an die Macht“ – der Satz funktioniert nur im Plural
Am deutlichsten könnte sich das Scheitern des politischen Krisenmanagements der Corona-Zeit für Frauen in der politischen Zukunft auswirken. Denn das Vertrauen in die handelnden politischen Parteien erweist sich zunehmend als erschöpft. Und hier müssen alle allerhöchstens aufpassen: Jeder Prozentpunkt, der an die AfD aus Protest gegen das Regierungshandeln verloren geht, ist ein verlorener Prozentpunkt für emanzipatorische Politik und bedeutet nicht zuletzt weniger Sitze für Frauen im Bundestag und am Ende noch weniger Durchsetzungskraft für Quotenregelungen. Nach der letzen Wahl hatten alle noch das Gefühl, dass die fast ausschließlich männliche Fraktion der AfD nur ein Ausreißer sein kann, ein Versehen auf dem Weg zu weiterer paritätischer Verteilung zwischen den Geschlechtern. Doch im Europa der Pandemie scheint die populistische Welle größer zu werden: Marine Le Pen könnte die nächste französische Präsidentin werden. Damit ist einmal mehr klar, dass eine Frau an der Macht kein Gewinn für Frauen ist. Der Satz „Frauen an die Macht“ ist wörtlich gemeint, er funktioniert nur im Plural. „Sie zeigen, dass es geht“ frohlockt die FAZ am Sonntag und beschreibt Frauen in den mächtigsten Positionen: Lagarde, von der Leyen, Fränzi Kühne,… halt Stopp, Fränzi Kühne hat sich, seit sie Mutter ist, aus den Aufsichtsräten zurückgezogen. Und auch Verena Pausder, die im Text als Vorbild herangezogen wird, hat sich für ihre drei Kindern aus den Geschäftsführungen ihrer Erfolgsunternehmen zurückgezogen. Ist es am Ende doch nur wenigen Ausnahmefrauen vergönnt, Kinder und echte Karrieren zu machen? Oder schaffen es die anderen einfach nicht?
Wirkt sich das schlechte politische Krisenmanagement in Zukunft negativ auf Frauen aus?
Die ZEIT hat zum Glück noch einen Text über das Muttersein in Coronazeiten beauftragt, ein erstaunlicher Beitrag von Sarah Connor darüber, dass Frauen oft bis zur Erschöpfung zu Hause arbeiten. Die vierfach-Mutter beschreibt die Belastungen offen und nüchtern. Sie fordert Bezahlung von Carearbeit und ist offenbar näher an den Sorgen und Konflikten von normalen Mittelschichtsmüttern dran als so manche Journalistin – und das als Sängerin, deren Alltag auch in dieser Zeit um vieles leichter sein dürfte als der von Normalsterblichen. Ihr Vorschlag: der Hauptverdiener (oder sie!) sollte gleich in die Rentenversicherung des Erziehenden bzw. Weniger-Verdienenden mit einzahlen. Denn warum, fragt Connor, gibt es einen Versorgungsausgleich nur im Fall einer Scheidung? Eine gute Frage, die zeigt, dass die Frauenfrage in unserer Gesellschaft immer von der „anderen“ Seite angegangen wird, nämlich von der Seite der Mächtigen, der Wettbewerbs- und Arbeitsmarktbeteiligten, nicht von der der Sorgearbeitenden – die haben nämlich immer noch keine Lobby. Wie sehr Frauen noch einfordern müssen, was ihnen zusteht!
Liebe Inga,
wahre Worte. Kann ich als Vierfachmama in Vollzeit berufstätig nur bestätigen.
Jeden Abend frage ich mich, wie lange ich das noch aushalte… während mein Ex-Mann und Vater meiner vier Kids sich ein buntes Leben macht und nicht mal Unterhalt zahlt – geschweige denn sich kümmert … Und die Gerichte den Lockdown nutzen und schlafen und eine im Sommer letzten Jahres veranlasste Zwangsvollstreckung wegen fehlender Unterhaltszahlungen immer noch nicht mal zugestellt wurde …. und die vor 1,5 Jahren eröffneten Gerichtsverfahren immer nur coronabedingt verschoben werden …. unglaublich, was hier in Deutschland passiert. Wie allein Alleinerziehende wirklich sind, kann nicht in Worte gefasst werden….
Und man ist trotzdem froh, wenn man einen einigermaßen gut bezahlten Vollzeitjob hat und im Homeoffice arbeiten darf und die Kids (so ganz nebenbei…) durch die Krise lotsen kann…
Mach weiter so. Ich lese Deine Blogs mit viel Aufmerksamkeit. Es gibt Kraft, dass man nicht wirklich allein ist…
Herzliche Grüße
Jeannette
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Liebe Jeanette, vielen Dank für deine Rückmeldung, das freut mich sehr, dass dir meine Texte wenigstens einen gefühlten Rückhalt geben können. Es klingt wirklich so unfassbar, was Dir widerfährt, es tut mir superleid!! Es ist vor allem unvorstellbar bei deiner positiven Energie! Bleib stark. Alles Gute für euch. Inga
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