Wenn die Berliner Grünen-Politikerin Antje Kapek dieser Tage vor die Mikrophone tritt, um ihren Rücktritt mit gebrochenem Herzen verkünden zu müssen, weil sie schlicht nicht mehr kann – dann zeigt das auch, wie sehr die Coronakrise Frauen mit Familien belastet hat. Antje Kapek ist Mutter von zwei Kindern und bisher stellvertretende Fraktionsvorsitzende (ein beeindruckendes Interview mit ihr zur Arbeitsbelastung von Politiker:innen und das Sakrileg, Schwäche zu zeigen, findet sich im Tagesspiegel). Die Überbeanspruchung der letzten beiden Coronawinter für Eltern zeigt sich auch am Arbeitsmarkt: Der Anteil von Frauen, die wegen der Kinderbetreuung ihre Arbeitszeit reduziert haben, ist von 15 Prozent im November 2020 auf 20 Prozent im Januar 2022 gestiegen, während im gleichen Zeitraum der Anteil von Vätern gesunken ist – auf fünf Prozent (WSI Mitteilungen vom 16.2.2022).

Gleichzeitig sind Mütter die Gruppe, die ihr Belastungsgefühl durch die Corona-Gesamtsituation am höchsten einschätzen, am allerhöchsten war dieser Wert übrigens im Januar 2021 (mehr dazu: Mothering in a pandemic). Diese Zahlen korrespondieren noch mit einer weiteren Umfrage, nämlich der explodierenden Nachfrage nach Psychotherapie. Diese sei in Deutschland um 40% im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, berichtete das Ärzteblatt im Februar. Dabei darf man nicht vergessen, dass bereits 2021 die Nachfrage nach einer Therapie deutlich höher war als vor der Pandemie. Seit Jahren gibt es die Zeitdiagnose, dass Burn-Out als Begriff deshalb so oft und gerne verwendet wird, weil die dahintersteckende, medizinisch korrekt zu bennende Erschöpfungsdepression so gar nicht ins Bild unserer beschleunigten, rastlosen Welt passt. Ein rudimentär mögliches Engagement, wer schiebt es gerade nicht auf Corona und meint aber damit eigentlich Überlastung, Erschöpfung und mangelnden Ausgleich? Und in wie vielen Fällen reduzieren Frauen ihre Erwerbstätigkeit oder geben sich mit Minijobs und prekärer Selbständigkeit zufrieden, weil sie befürchten müssen, durch die Dreifachbelastung durch Job/Familie/Carearbeit an Überbelastung zu erkranken?
Ermüdungs(ein)bruch
In der Belastungssituation selbst wird automatisch der Überlebensmodus angeworfen – so wie während der Coronawinter. Die Psyche ist vielleicht überfordert mit der Situation, aber der Überlebensmodus funktioniert. Die Gewahrwerdung einer Überforderung mit möglichen psychischen und körperlichen Symptomen kann auch Wochen oder Monate später auftreten. Es ist wie bei einem Ermüdungsbruch: Die Überbelastung wird zunächst vom Knochen erduldet. Erst wenn man es nicht mehr erwartet zeigt sich die Fraktur. Kein Wunder also, wenn die Anfragen nach psychologischer Hilfe oder die Reduzierung der Beschäftigung erst jetzt auftreten. Wenn eine Antje Kapek Arbeit und Leben unter den herrschenden Bedingungen nicht mehr vereinbaren kann – eine durchsetzungsstarke Politikerin – wer soll es denn dann eigentlich schaffen? Und warum treffen Überlastungsreaktionen öfter Frauen? Wo sind die Väter?
Eine Antwort ist: Mental Load.
Zusammenfassend sieht die Situation zum Weltfrauentag für Frauen weniger sonnig aus als es der Feiertag am 8. März sein dürfte. „Bildung top – Einkommen mau“, so fasst die Stuttgarter Zeitung entsprechende Befunde über Frauen im Erwerbsleben zusammen: Gut und sogar sehr gut ausgebildet sind Frauen heute; wir lernen mehr, schaffen höhere Abschlüsse als Männer. Aber die Früchte, die wir ernten könnten, tragen wir trotzdem nicht nach Hause. Denn es geht um mehr als um Qualifikation. In fast allen Stellenausschreibungen, die höhere Bildung erwarten, ist etwa von „hoher Belastbarkeit“ die Rede. Eine dauerhaft hohe Belastbarkeit im Job kann ich aber kaum mitbringen, wenn ich Kinder erziehe, mich um Großeltern kümmere, ein Ohr für erkrankte Angehörigen haben will oder noch im Ehrenamt etwas auf die Beine stellen möchte. Davon aber lebte unsere Gesellschaft bisher: Von der unentlohnten Care-Arbeit, die Frauen jahrhundertelang ohne Umschweife ausgeübt haben. Und tatsächlich rückt das Verständnis, eine Kultur der Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie in (besonders West-)Deutschland zu etablieren, wieder einen kleinen Schritt weiter zurück, wenn weniger Frauen in gut bezahlten Jobs arbeiten und mehr Männer ihrem angestammten Vollzeiterwerbsmodell in gut bezahlten, aber systemirrelevanten Branchen frönen. Die Pflegekrise, die Coronakrise, die Betreuungskrise, die ganze Carekrise: All das zeigt uns doch, wie wenig nachhaltig die Logik des Arbeitslebens immer noch aufgestellt ist.
Eine Antwort, warum Frauen stärker unter den Coronabedingungen leiden, gibt das Mental Load-Konzept. Gemeint ist mentale Last: „Mental Load ist das, was in der Nichtabsprache heterosexueller Beziehungen hauptsächlich von Frauen geleistet wird und sie belastet. Doppelt belastet wohlgemerkt. Erstens durch den Stress der permanenten gedanklichen Arbeit, die eben vornehmlich Frauen leisten, damit der Familienalltag nicht auseinanderfliegt. Und zweitens durch die fehlende Wertschätzung. Durch das Abtun als Kinkerlitzchen, die im Kopf zu haben nun wirklich keine Arbeit ist“, schreibt Nils Pickert. Der Autor rückt in seinem Buch Lebenskompliz*innenschaft die Partnerschaft in den Mittelpunkt. Es geht um gegenseitige Wertschätzung, und nicht das Leben negierende, ökonomistische 50-50-Modelle, findet Pickert. Was darüber hinaus bei Mental Load in den Blick gerät: Nicht nur die unsichtbaren Prozesse der Alltagsorganisation sind mit dem Begriff gemeint, sondern auch die fehlende Wertschätzung des „hinter der Kulisse“-Arbeitens – niemand nickt anerkennend, wenn der Kühlschrank gefüllt ist, die Putzmittel vorhanden oder genügend Zahnbürsten vorrätig sind, diese „Nebensächlichkeiten“ gehören meistens ins alltägliche Mütterrepertoire. Bekannt wurde das Mental-Load-Konzept durch die feministische Künstlerin Emma, die alltägliche Situationen mentaler Last illustrierte.
Bewahrheitet sich Allmendingers frühe Warnung vor „entsetzlicher Retraditionalisierung“?
Wenn aus Umfragen hervorgeht, dass vermehrt Mütter die mentale Last tragen und mit den häuslichen Aufgaben konfrontiert sind, während wieder mehr Väter in Vollzeit arbeiten und entsprechend mehr verdienen, dann war Jutta Allmendingers Alarm vom Mai 2020 bei Anne Will, den viele als übertrieben wahrgenommen hatten, leider zutreffend. Damals hat Allmendinger gewarnt, dass die Pandemie für Frauen eine „entsetzliche Retraditionalisierung“ bedeuten würde und Erfolge in der Gleichstellung der Geschlechter massiv bedrohe.
„Und Gleichberechtigung, immer wieder Gleichberechtigung“
Diskussionen über Geschlechterrollen müssen nach und während Corona neu geführt werden. So wie Nils Pickert es einfordert: „Selbst im sichtbaren Aufgabenbereich sind die meisten an der Belastungsgrenze. Mangelnde Wertschätzung, fehlende Zeit und Erschöpfung fressen sie auf. (…) Mitgefühl und Geduld mit sich selbst und dem Herzensmenschen. Radikale Ehrlichkeit beim Einpreisen von Tätigkeiten und Mentalbelastungen… Und Gleichberechtigung, immer wieder Gleichberechtigung“, schreibt Pickert. Und nicht zuletzt: Das Nachdenken über Männlichkeit, Rollenerwartungen und wie wir die alten Muster besser nicht tradieren.