StadtLandFrust. Bauern legen Berlin lahm

Wer derzeit auf Berliner Straßen unterwegs ist und den zornigen Bauern entgegensieht trifft auf Traktoren, LkW und ausgeschaltete Ampeln. Die Bauern blinken im alarmistischen Gelb durch Berlin: „Der Hof brennt“, „Stirbt der Bauer stirbt das Land“, „Die Ampel muss weg“, „Die Ampel brennt“.

Eine Stadt im Ausnahmezustand und alle Ampeln ausgeschaltet, die auf dem Weg der Bauernblockade liegen, an der kilometerlangen Karl-Marx-Allee entlang. Wo sollen diese Proteste hinführen? Auf der einen Seite haben wir eine modernisierte Landwirtschaft, die Kühe mit Melkrobotern melkt und in der Tiere kein Licht und kein grünes Blatt mehr sehen. Auf der anderen Seite steht der Versuch, die Landwirtschaft klimafreundlich zu transformieren und mehr Tierwohl umzusetzen. „Stoppt grüne Ideologie“, so steht es auf dem Protestschild eines Traktors. Das Gefährt, das es zur Schau trägt, könnte moderner nicht sein, ein Ungestüm des Fortschritts und ein Ausdruck der High-Tech-Landwirtschaft, die in Deutschland (auch) betrieben wird.

Traktorchaos in Berlin

Was sich hier aufgestaut hat, ist nicht etwa der „Kampf ums Überleben“, ein anderer Trecker-Slogan, sondern der Frust über ein politisches System, dass seit Jahren keine echte Transformation vorangetrieben hat. Das Problem ist nicht der Versuch der Ampel, eine Transformation weg vom Diesel einzuleiten, sondern, dass Politik über Jahre versäumt hat, in die Zukunft des Landes zu investieren – in Schulen, in digitale Infrastruktur, in wirklich moderne Arbeitsplätze, und, ja, auch in zukunftsfähige landwirtschaftliche Konzepte, die weg von der Akkumulation zu Riesenbetrieben, von der Übersäuerung der Böden und von subventionierten, fabrikähnlichen Mastanlagen hin (oder zurück) zu einer kleinteiligen, klimafreundlichen Landwirtschaft geführt hätte. Das Problem ist nicht allein die Lage der Bauern, sondern die politische Performance, die wir erleben. Der Regierung fehlt eine klare Richtung und eine Vision, daran ist nicht allein die Einhaltungsplage Schuldenbremse schuld, aber zum großen Teil.

Deutschland ging es lange Zeit gut, es ging für viele nur bergauf. Es gab Kurzarbeitergeld, Lohnfortzahlung und Steuervergünstigungen, es gab Corona-Hilfen. Vielleicht dämmert es vielen, dass die Diesel-Subventionen erst der Anfang von geliebten „Boni“-Streichungen sein könnten, an die wir uns gewöhnt haben. Der Umverteilungskampf aber, weil das Geld in Renten-, Kranken- und Sozialkassen fehlen wird, der steht uns allen noch bevor. Wenn Investitionen in die Zukunft schon jetzt nahezu unmöglich sind, macht das Angst. Anstatt aber, dass Bauern gegen die Schuldenbremse demonstrieren, ließen und lassen sie sich an manchen Orten zu Handlangern der Rechtspopulisten machen. Was in Frankreich die Gelbwesten waren, sind in Deutschland nun die Traktoren.

Dabei wäre eine klimafreundliche Landwirtschaft das, was die Landwirt*innen einfordern sollten – also das Gegenteil der lauten Sprüche. Denn die Landwirt*innen sind es, die von extremen Wetterlagen als erste betroffen sind. Dass sie nun ausgerechnet gegen die Transformation auf die Straße gehen, ist keine paradoxe Intervention. Es ist ein Zeichen dafür, dass die Bauern und Bäuerinnen der Regierung nicht zutrauen, dass diese angemessen in ihre Zukunft investiert – aber auch dafür, dass der Umbau hin zu einer klimafreundlichen Gesellschaft unsere Frustrationstoleranz noch ziemlich herausfordern wird.

Veröffentlicht von stadtlandfrau

Dr. Inga Haese, Soziologin, Gärtnerin, Leserin, Mutter, Feministin, Kirchenaktivistin. Lebt in Berlin und bei Storkow in Brandenburg.

Hinterlasse einen Kommentar