„Sie haben viel erreicht!“ Antwort auf Dagmar Reims Resümee im Einsatz für die Gleichstellung

In einem persönlichen Rückblick kommt die ehemalige Intendantin des rbb, Dagmar Reim, zu dem Schluss: „Wir haben zu wenig erreicht.“ (SZ vom 27./28. Januar, S. 41) „Aber ohne Sie, Frau Reim, wären wir viel weniger weit“, möchte ich rufen, „Sie haben so vieles erreicht!“ Dagmar Reim ist Vorbild für viele Frauen geworden, die Kinder haben und Führungspositionen erreichen.

Die Begebenheiten, die Dagmar Reim in ihrem beeindruckenden Rückblick schildert, kennt jede Frau, und sei sie noch so jung. Da ist der Herr Stoiber, der die Intendantin als Gattin von Uli Deppendorf anredet, noch die kleinste Pointe. Die berufliche Biographie, die Dagmar Reim hier darlegt, beschönigt in keiner Weise, wie oft sie auf helfende Dritte angewiesen war, um als Mutter Karriere machen zu können. Es war Carola Stern, die Vorkämpferin für Frauen im Journalismus, der Dagmar Reim in den 80er Jahren die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit verdankte, eine damals noch undenkbare Arbeitsweise für intellektuell anspruchsvolle Tätigkeiten, das geht aus Reims Erinnerungen hervor.

Was dankenswerterweise nicht zu kurz kommt ist der innere Schweinehund, den Dagmar Reim als Karrierefeind Nummer 2 beschreibt: Als sowohl ihr Mann, der anbot, seine Arbeitszeit zu halbieren, als auch ihr Chef sie aufforderten, eine Führungsposition einzunehmen, fand sie 16 Gründe dagegen und nur drei, die für den Chefinnenposten sprachen – es war ihr Chef, der ihr dann Zeit zum Überlegen einräumte, weil er befand, Frauen seien seltsam: erst verlangten sie etwas, und wenn es möglich sei, „kneift ihr.“

Was ist daran schon seltsam? Als Frauen sind wir mit gesellschaftlichen, familiären und kontextbezogenen Erwartungen an unser Geschlecht konfrontiert, deren Folgen wir immer mit einrechnen müssen, und wenn eine Familie mit Kindern an der Frau hängen, dann greifen in tausend Situationen ihres Alltags alte Rollenmuster – und seien es die eigenen Erwartungen an die Mutterrolle, die ihr ein Bein stellen.

Hier ist der „strategische Essenzialimus“ (Spivak), also der Rückgriff auf die binäre Zweigeschlechtlichkeit durchaus wichtig, um unsichtbare Hierarchien und Ungleichheiten deutlich zu machen. Denn Kommentare von Männern, die frau das Mousse au Chocolat auf dem Löffel gefrieren lassen, sind zwar seltener geworden. Aber die Haltungen dahinter, sie existieren längst noch in vielen Köpfen und sie prägen unsere Kommunikationen und Lebenswelten.

Warum ist das immer noch so? Das ist die eigentliche Frage, die Reim stellt. Sie förderte Frauen als Volontärinnen. „Und dann war es immer dasselbe: Zehn Jahre später waren 80% der Männer feste freie Mitarbeiter, Ressortleiter, Reporter,… und von den Frauen waren noch etwa 20 Prozent an Bord.“ Dagegen kam sie auch als Intendantin nicht an, stellt sie resigniert fest. „Trotz Einführung von Führungstandems und individueller Teilzeitmodelle reduzieren die meisten Frauen ihre Arbeitszeit mit dem ersten Kind – auch heute noch (ganz im Gegensatz zu den Männern). Und sehr viele verschwinden mit dem zweiten aus den RBB-Redaktionen.“

Ja, so kennt man das auch aus anderen Branchen, aber: Gemessen am Ausgangspunkt, der da lautete, Frauen könnten aus hormonellen Gründen keine Nachrichten schreiben, ist das Erreichte eindeutig viel! Es könnte noch viel mehr sein, das weiß ich aus eigener Erfahrung, aber es ist viel.

Als ich mit meinem zweiten Kind schwanger war, im Jahr 2011, traute ich mich zunächst nicht einmal, die Nachricht zu verkünden. Ich war Stipendiatin als Promovendin am Hamburger Institut für Sozialforschung. Keine der anderen Promovierenden war Mutter oder Vater. Schließlich ließ es sich nicht mehr verbergen und ich tätigte die aufgeschobenen Anrufe. Die Verwaltungschefin befand abfällig: „Dann wird die Arbeit ja nie fertig. Das Stipendium wird dann wohl auslaufen.“ Ich fühlte mich, als hätte mein ohnehin mit schwierigen Vereinbarkeitsbedinungen geladener Frachter namens akademische Karriere einen Eisberg gerammt und Schiffbruch erlitten.

Es war ein Mann, der wohlwollend reagierte und den Frachter wieder auf anderen Kurs brachte: Das sei kein Problem, sagte Heinz Bude, der Arbeitsbereichsleiter am Institut war und mein Doktorvater. So ein Stipendium könne man unterbrechen.

Diese beiden Pole, Zweifel und Zutrauen, prägen bis heute mein Arbeitsleben und mein eigenes Zutrauen in die Fähigkeit, mit Familie verantwortungsvolle Positionen einnehmen zu können. Es ist anstrengend, immer wieder aufs Neue austarieren zu müssen und immer wieder mit ganz neuen Eisbergen, auch und gerade den selbst erzeugten, die klein halten und Verantwortung anstrengend finden, zu kämpfen. Ich verstehe Mütter, die ihre Kraft für andere Aufgaben verwenden.

Aber Dank Frauen wie Dagmar Reim erinnere ich mich auch immer wieder daran, dass ich damit nicht alleine bin und dass es sich lohnt, die Widerstände zu beseitigen. Es ist viel!

Veröffentlicht von stadtlandfrau

Dr. Inga Haese, Soziologin, Gärtnerin, Leserin, Mutter, Feministin, Kirchenaktivistin. Lebt in Berlin und bei Storkow in Brandenburg.

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