Der letzte Wenders-Film, den ich gesehen habe, war „Himmel über Berlin“. Er berauschte im sommerlichen Freiluftkino alle Sinne – diese Anmut, Schönheit, Rauhheit der Stadt, der verliebte Engel. Danach war klar: Wim Wenders hat eine Schwäche für übersinnliche Kräfte. Der Film über Franziskus bestätigt auf beeindruckende Weise diese Schwäche.
Eine Welle warmer, weicher Laute rollt in unsere Ohren
Die Präsenz von Papst Franziskus vor der Kamera ist überwältigend, es gibt keine Chance seinem Charme zu entkommen. Franziskus nimmt einen nicht nur durch seine Ausstrahlung und Wärme ein, es ist vor allem seine Sprache, die entzückt: Dieses weiche, argentinische Spanisch, eine melodische Mischung aus dem südamerikanischen Spanisch und dem eingewanderten Italienisch, das alle harten Silben verschluckt und eine Welle warmer, weicher Laute rollt mit seiner Stimme in die Ohren des Zuschauers. In präzisen Worten formt Franziskus in dieser Sprache seine klaren, eigentlich schlichten Botschaften: Die Welt braucht Liebe, die Welt braucht Dialog, die Welt braucht weniger Waffen und mehr Klimaschutz, weniger Armut und mehr Solidarität, weniger Reichtum und mehr Zeit für die Familie, weniger Kapitalismus und mehr Nachhaltigkeit. So komplex sich diese Probleme für die Weltgemeinschaft auch darstellen mögen, so einfach und schlicht klingen sie aus dem Mund dieses Papstes, der wirklich meint, was er sagt: Mit anderen zu teilen. Weniger zu besitzen. Liebe zu anderen Menschen zu leben. Ihnen in ihrem Elend beizustehen, sie nicht allein zu lassen.
Ein Papst, der einer von uns ist
Natürlich sind seine Besuche auf Lampedusa und den Philippinen auch als symbolische Akte zu verstehen, wie sie Politiker/innen vorbehalten sind. Doch dieser Mensch hat mehr zu geben als Bilder mit Symbolkraft. Dieser Papst will den Menschen seine Zeit schenken, er will für sie da sein, er schenkt ihnen Nähe und er betet für sie. Er küsst ihre Füße, er gibt ihnen mit seinen Zeichen die Würde zurück, die sie unter den unwürdigsten Bedingungen ihres Daseins verloren zu haben glaubten. Wenders setzt eindrucksvoll in Szene, wie Franziskus durch südamerikanische und afrikanische Städte fährt, wo er empfangen wird wie – nun ja, eben wie ein Papst, der einer von uns ist, der den Menschen nah ist: Mit Verehrung und Jubel von Abertausenden, die wissen, wo er herkommt.
Trotz des Pathos, das im ganzen Film mitschwingt, wird dieser Papst nie kitschig, sondern er bleibt menschlich und hoffnungsvoll, wo andere nur noch den Untergang sehen.
Letztendlich prangert Franziskus eine Welt an, in der zu leben sich so viele von uns gewöhnt haben: Die Welt des Konsumierens und des Wegwerfens, des Abschottens und Mehr-haben-Wollens, des Egoismus. Franziskus‘ Botschaften spitzen deutlich zu, was die letzten Päpste bereits anklingen ließen: Dass die Ausbeutung, die sich der globale Kapitalismus auf die Fahnen geschrieben hat, mit der christlichen Kirche nicht zu vereinbaren ist. Die Botschaft der Kirche ist eine, und dafür steht Franziskus, die mehr denn je in diese Zeit gehört, gerade weil sie die Botschaft der Nächstenliebe und des Teilens ist. Weltkonzerne und politische Gebilde können diese Botschaften nicht (mehr) überzeugend verkörpern, geschweige denn eine solche Kraft entfalten. Wim Wenders hat damit ein beeindruckendes Porträt und denkwürdiges Zeitzeugnis geschaffen, und trotz des Pathos, das im ganzen Film mitschwingt, wird dieser Papst nie kitschig, sondern er bleibt menschlich und hoffnungsvoll, wo andere nur noch den Untergang sehen.
Feminismus ist trotzdem nötig!
An einer Stelle wuchs in mir, neben der gewaltigen Woge an Zustimmung, die ich während des Films verspürte, Widerspruch: Der Papst betonte die Wichtigkeit von Frauen für die Entwicklung der Menschheit. Dann sagte er: Wir kommen nicht weiter, wenn wir gegeneinander kämpfen. Nur gemeinsam, in Kooperation, schaffen wir es – Machismus und Feminismus bringen uns nicht weiter. Entschieden muss ich sagen, dass diese Gegenüberstellung nicht richtig ist: Machismus ist eine strukturelle Grundhaltung, die nur durch Feminismus bekämpft werden kann, bevor es an die Kooperation geht! Bei aller spiritueller Zustimmung sollten wir uns auch darauf besinnen.
Danke für den Artikel! Das hat mich inspiriert, genauer über die Begriffe Macho und Machismus nachzudenken*
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Danke dir übrigens für deinen Kommentar. An den Begriffen lässt sich bestimmt weiter herumdenken! Können wir auch mal zusammen tun 🙂
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