Eribons Präsident. Eine Diskussion mit Didier Eribon und Edouard Louis in der Paul-Simon-Galerie über Macron

Im Rahmen des Literaturfestes wollte ich unbedingt Didier Eribon und Edouard Louis hören, die erfolgreichen französischen Autoren der Stunde. Das Buch „Das Ende von Eddie“ hatte ich gerade gelesen, und Eribons „Rückkehr nach Reims“ vor Jahren, beide werden in Berlin inzwischen am Theater gehypt. Die Veranstaltung fand am 19.9.2019 in der Paul-Simon-Galerie statt.

Zwar war mir schon die unerbittliche Haltung Eribons gegenüber seinem Vater in „Rückkehr nach Reims“ negativ aufgefallen. Offenbar hatte der ihm seine kleinbürgerliche Homophobie nie verzeihen können, auch nicht als Greis, und das fand ich klein, auf undurchsichtige Weise eitel – aber was diese Haltung, die dahinter steckte, dem Abend bringen würde, das sprengte doch meine Vorstellungskraft. Edouard Louis hingegen hatte mich beeindruckt durch seinen Mut zur Schonungslosigkeit in seiner autobiographischen Erzählung über das Ende von Eddie. Die räumlichen und sozialen Verhältnisse seiner Biographie entstehen grau und trist vor dem inneren Auge, seine Herkunft aus dem proletarischen Milieu in Nordfrankreich schildert er genauso ehrlich wie seine Not, seine Erniedrigung, seine Sehnsucht. Im Gegensatz zu Eribon erschien mir Louis auf erfrischende Weise uneitel.

So brilliant ihnen die Selbstbespiegelung in Romanform gelingt, so schlecht funktioniert diese als Methode zur politischen Analyse.

Nun war aber das Thema des Abends nicht das literarische Comingout homosexueller Aufsteiger:innen (Eribon ist Soziologieprofessor) oder Studierenden (Louis ist Mitte zwanzig), sondern Frankreich unter Macron. Und das war leider ein Verhängnis für die Schriftsteller im Auditorium der Paul-Simon-Galerie. Denn so brilliant ihnen die Selbstbespiegelung in Romanform gelingt, so schlecht funktioniert Selbstbespiegelung als Methode zur politischen Analyse. Mitdiskutant war der Autor Geoffroy de Lagasnerie, der ein wenig herausstach an diesem Abend.

Der Saal war ausverkauft, mehr als 400 Plätze besetzt. Übrigens ein eleganter Ort von außen, dieser neue Eingang zum Pergamonmuseum, aber das Auditorium erinnert sehr an einen Luftschutzbunker, aufgebaut wie ein Hörsaal, Sichtbeton ringsum, graue Tristesse. Die physische Beschaffenheit des Gebäudes stand symbolisch für den Abend: Die weißen Stelen der Paul-Simon-Galerie korrespondieren draußen klug und gewitzt mit den antiken Säulen der Museumsinsel, ihr Versprechen ist nicht mehr und nicht weniger als eine stilistische Brücke zwischen dem 21. und dem 18. Jahrhundert zu schlagen. Innen angekommen erweist sich die moderne Architektur ähnlich wie das politische Denken der französischen Literaten als Enttäuschung – Ideenlosigkeit und graue Betonplatten soweit das Auge reicht.

Bourgois und violant – die Worte des Abends

Im Grunde war das Desaster also vorprogrammiert. Erinnern wir uns an Eribons Aufruf, dass Macron nicht sein Präsident sei und auch in der Stichwahl gegen Marine Le Pen unwählbar bleibe. Schon damals befremdete mich die fehlende Besonnenheit, die ich von einem Intellektuellen erwarte. Und tatsächlich, Eribon wetterte gleich los, dieser Macron sei nicht jung, sondern alt, und alles, was er tue und wie er sich bewege sei bourgeois durch und durch. „Bourgeois“ ist das meistgenannte Wort des Abends, neben „violant“, gewalttätig. Macrons Gewalt würde hingenommen, so Eribon, während er selbst eine aristokratische Performance hinlege, die das Publikum blende. Die Polizeigewalt und Gewalt gegen die Gilles jaunes, die Gelbwesten, würde niemand thematisieren, aber Macron tötet, so die Meinung des Soziologen. Die Kahlschlagpolitik des Präsidenten, das sei auch Gewalt, es gebe in Frankreich keine Demokratie mehr, denn vor lauter Poizeigewalt traue er sich nicht mehr, zu demonstrieren.

Louis kann ihm nur zustimmen, gemeinsam reden sie sich in Rage: Macron töte, weil er das medizinische System ruiniere, er töte, weil er Flüchtlingscamps räumen lässt. Angela Merkel hingegen wird von Louis zur Ikone glorifiziert, die in einem Europa des Schreckens Menschenleben rette – Kinder von Geflüchteten werden Angela genannt, so Louis mit einem Seitenhieb auf den tötenden Präsidenten Macron. (Aber mit deutscher Politik kenne er sich nicht gut aus, räumt er Gott sei Dank ein). Nein, die Autoren können diesem Bourgeois Macron nur Abscheu entgegenbringen, das wird deutlich. Er ist der kalte Kahlschlag-Macron in den schicken Anzügen, der sich wie ein König gibt, dazu gibt es keine Gegenrede. Über Macrons Einlenken was die geplanten Kürzungen betrifft, über seinen Dialog mit den Gelbwesten, über sein Vorpreschen für die EU gibt es hier nichts zu hören.

Cohn-Bendit ins Gesicht spucken

Louis mag man seine Rage verzeihen, er ist jung, er hat seine ultralinken Ideale noch nicht mit dem Pfund des demokratischen Aushandelns abgewogen. Eribon aber stünde eine sachlichere Kritik besser zu Gesicht: Als gutverdienender Professor und Buchautor hackt er auf der Bourgeoisie herum und biedert sich jungen Schriftsteller:innen und den Gelbwesten an. Als Opfer von Macrons „Kahlschlagpolitik“ ist seine Wut allzu selbstverliebt, am liebsten möchte man ihm zurufen: Es sind deine Pensionen, die Macron kürzen will! Und es ist dein Renteneintrittsalter, das erhöht werden soll! Du sollst den Gürtel enger schnallen, zugunsten der jungen Generation, die neben dir sitzt! Darum geht es auch! Stattdessen dürfen sich auf dem Podium drei Macronhasser ungebremst in Rage reden, Europa verteufeln und den Einsatz von Tränengas als Mordinstrument brandmarken. Wer am selben Tag eine Reportage über die jahrelang weggesperrten russischen Demonstranten gelesen hat, kann nur staunen.

Die Moderatorin war auf die Plattitüden schlecht vorbereitet, sie intervenierte kaum, ließ die unsachlichen Tiraden über dem Publikum ergehen, bis dieses nach einer Stunde endlich in die Diskussion eingeladen wurde. Die erste Frage war zwangsläufig die nach der Ausgewogenheit der Diskussion, warum gab es keine Diskussion über Macron? Eribons lapidare Antwort: Er diskutiere nicht mit Leuten, die für Macron sind. Das verächtliche Schnauben im Publikum demonstrierte aufgestaute Unzufriedenheit im Saal, und die Anschlussfrage, ob er auch nicht mit Daniel Cohn-Bendit diskutiere, wies Eribon von sich: Dem würde er „ins Gesicht spucken“.

Ihr Zorn von links erinnert zu sehr an den Zorn von rechts

Schade. Ich hatte mich gefreut auf die Franzosen, aber die Erkenntnis des Abends war, dass ich sie nicht ernstnehmen kann. Ihr Zorn von links erinnert zu sehr an den Zorn von rechts. Wenn Le Pen die nächsten Wahlen gewinnt, dann werden sich die Zornigen Vergleiche mit den Steigbügelhaltern aus Weimar gefallen lassen müssen.

Beim Durchstörbern meines Schreibtisches fiel mir später ein Leserbrief in die Hände, den ich vor fast zwei Jahren an die Süddeutsche Zeitung geschrieben haben musste, nachdem ich darin einen Artikel von Didier Eribon gelesen hatte. Ich musste schmunzeln, weil er meine Gedanken von heute Abend vorwegnahm. (2019)

Ein Nachtrag vom 1.4.2023:

Sylvain Prudhomme, französischer Schriftsteller, beschreibt die Situation Frankreichs heute, nach sechs Jahren Macron, als abgrundtiefe Spaltung, die mit Gewalt Elend und Luxus aufeinander-prallen ließe. Macron habe das Land den Rechtsextremen serviert. Ungerührt wie ein Bulldozer walze der Präsident der Reichen über die Mehrheit der Franzosen hinweg, über die Deklassierten, die Armen, schreibt Prudhomme. Hätte ich Eribon doch weiter zuhören sollen?

Veröffentlicht von stadtlandfrau

Dr. Inga Haese, Freie Autorin, Sozialforscherin, Dozentin. Mutter von 2 Kindern. Lebt in Berlin und bei Storkow in Brandenburg.

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