Das wichtigste für die SPD: Esken und Walter-Borjans sind ein gutes Team

Die Medien reagierten am Wochenende mit Häme auf die Wahl von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zum neuen Führungsduo der SPD. Dabei ist das reflexartige SPD-Bashing von Journalist*innen (Cicero, ZEIT, FAZ etc.) und ehemaligen SPD-Chefs (etwa von Gerhard Schröder, Martin Schulz oder die „Warnung“ von Franz Müntefering im Tagesspiegel) zu einem so mantrahaften Ritual verkommen, dass wirklich jedem Beobachtenden des Zeitgeschehens klar wird: Es kann nur gut für die SPD sein, was sie sich selbst soeben verordnet hat.

Risiken einzugehen ist seit jeher ein gutes Mittel, um Gefolgschaften zu beeindrucken

Nämlich ein Ende des Weiter-so. Ein Wagnis. Ein Experiment mit einer Außenseiter-Doppelspitze. Wir müssen keine Expert*innen von Charisma-Diskursen sein, um zu erkennen, dass die SPD-Mitglieder auf eine krisenhafte Situation mit einer richtigen Entscheidung reagiert haben. Risiken einzugehen ist seit jeher ein gutes Mittel, um Gefolgschaften zu beeindrucken und Bindungskräfte zu entfesseln. Mit dem Ausstrahlen von Charisma haben es die alten Volksparteien seit Jahren immer schwerer. Ihre uncharismatischen Führungsfiguren sind mit ein Grund für ihre Misere. Aber diese wird in den Parteien selbst produziert. Die vorgezeichneten, mit Mühsal von Parteiebene zu Parteiebene weisenden Aufstiegswege von pragmatisch-berechnenden Politiker*innen (die früher männlichzentriert allen Ernstes „Ochsentour“ genannt wurde) zeigen uns nämlich weder, wie fähig und widerstandsfähig, noch wie moderierend oder mit welchem inhaltlichen Instinkt das Parteispitzenpersonal am Ende dieses Weges ausgestattet sein wird. Das einzige, was dieser Weg wirklich zeigt, ist die beachtliche Leidensfähigkeit und Beharrlichkeit, die Politiker*innen bekanntlich auch brauchen. Aber wo frühere Parteivorsitzende die Klaviatur der Machtspiele mit Bravour beherrschen mussten, sind heute andere Skills gefragt: Teamfähigkeit etwa. Oder ein Gespür für die richtigen Themen zum richtigen Zeitpunkt und – siehe Angela Merkels Stuhlkleber – Moderationsfähigkeit.

Franziska Giffey ist das jüngste Beispiel, dass der klassische Karriereweg in der Politik ausgedient hat

Der Eindruck, dass klassische Parteikarrierewege ausgedient haben, wenn es um Beliebtheit und Wähler*innengunst geht, ist kein neuer Befund: Franziska Giffey ist das jüngste Beispiel dafür. Von der Bürgermeisterin eines Berliner Stadtteils wurde sie zur Bundesministerin – und dort hat sie sich in kurzer Zeit enormen Respekt verdient. Zuletzt bewies sie mit ihrem klugen Abwarten, was die Entscheidung über die Plagiatsvorwürfe ihrer Dissertation betraf, politisches Geschick. Auch Manuela Schwesig musste sich erst anhören, wie unerfahren sie sei, bevor ihr im Nachgang großes politisches Talent attestiert wurde. Annalena Baerbock und Robert Habeck sind weitere Beispiele von steilen Karrieren, die niemand vorausahnen konnte. Bleibt man bei den Grünen, dann zeigt sich ihr momentaner Erfolg als eine Mischung aus Glaubwürdigkeit beim Themenschwerpunkt Klimawandel und ihrem Spitzenteam Baerbock/Habeck, das unbeirrt kooperativ und loyal miteinander umgeht und für das Thema anstatt gegeneinander kämpft.

Wenn eine solch kooperative Performance mit dem Etikett SPD versehen wird, dann können inhaltliche Debatten viel konstruktiver geführt werden als es bislang der Fall war

Die Unerfahrenheit und die Linkslastigkeit des neuen Spitzen-Tandems der SPD erklärt nicht allein, wieso mit deren Wahl (mal wieder) der Untergang und das Ende der SPD herbeigeredet wird. Denn in einer solch krisenhaften Situation, in der die SPD schon unter die 10%-Marke bei Landtagswahlen abrutschte, ist es völlig legitim, Risiken zu wagen und Neues auszuprobieren. Wer hat wahrhaftig in Olaf Scholz einen Retter der SPD gesehen? Dessen Tandempartnerin wie eine Quotenfrau behandelt wurde? Ein „Weiter-wie-bisher, aber mit Pauken und Trompeten“, hätte es geheißen. Die Schlagzeilen über den Abgesang einer Scholz-SPD wären vermutlich nicht weniger verheerend ausgefallen, mit dem Ergebnis, dass die SPD mit Olaf Scholz demnächst einen weiteren führenden Politiker weniger gehabt hätte. Zuletzt erging es so Andrea Nahles, von der man gar nichts mehr hört. Nein, das Team aus Esken und Walter-Borjans ist in seiner Unbekanntheit geradezu erfrischend für die SPD, und unbekannt bedeutet nicht unerfahren. Walter-Borjans kann regieren, Esken kann Bildungspolitik moderieren, sie kann Bundestag und Digitales und hat trotzdem drei Kinder. Beide haben ihren ersten Tandem-Auftritt bei Anne Will souverän gemeistert, und zwar als echtes Team: Einander zugewandt, sich gegenseitig unterstützend, loyal und einander ergänzend. Bei Anne Will überwog der Eindruck: Wenn das die neue SPD-Spitze wird, dann performt sie ein Füreinander anstatt das ewig gewohnte Gegeneinander. Wenn eine solch kooperative Performance mit dem Etikett SPD versehen wird, dann können inhaltliche Debatten viel konstruktiver geführt werden als es bislang der Fall war.

Der Abgesang auf die SPD gleicht einer Beschwörungsformel, die nun hohl geworden ist – und als solche plötzlich sichtbar wird

Und ihren Patzer bei einem geradezu höhnischen Markus Lanz darf man Saskia Esken demnach auch verzeihen. Mediale Unbedarftheit bedeutet nicht gleich Unfähigkeit. Schaut man sich Eskens Internetauftritt an, dann kommt die Frau bodenständig-symphatisch rüber, mit Gitarre in der Hand. Sie steht zu ihrer langen Kinder-Auszeit, auch das ist für die SPD ein Gewinn. Und an alle Genoss*innen, die es kaum erwarten können, ihre eigenen Leute schlecht zu reden: Wartet doch erst mal ab, ob nicht eine Frau, die es in der SPD-Fraktion schwer hat, genau die richtige ist, um der Partei die nötige Glaubwürdigkeit zurückgeben zu können.

Veröffentlicht von stadtlandfrau

Dr. Inga Haese, Freie Autorin, Sozialforscherin, Dozentin. Mutter von 2 Kindern. Lebt in Berlin und bei Storkow in Brandenburg.

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